MAREK SZULAKIEWICZ

FREIHEIT UND PHILOSOPHIE - VORWORT

Wenn Schelling Recht hatte, indem er behauptete, dass Anfang und Ende jeder

Philosophie das Problem der Freiheit ist, ist vielleicht dieses Problem ein

ausgezeichneter Weg zu philosophischen Analysen der zeitgenössischen Kultur. Die

Freiheit und „Befreiung“ haben die Philosophen oft auf ihren Fahnen geschrieben. Die

Befreiung durch einen Philosophen ist jedoch ein seltener Prozess. Dies ergibt sich aus

der Qualität der von ihm gesuchten Wahrheiten. Sie streben das Ganze an und eine

Entscheidung der letzten Dinge. Beim Verlangen nach „Wahrheit für alle“ kann die

Freiheit auf Irrewege geraten. Sie hört auf ein „öffnender“ Wert zu sein und wird

unmerklich den „einschränkenden“ Werte beigefügt.

Etwas anderes ist jedoch das Interesse der Philosophie für das Problem der

Freiheit. Es handelt sich hier um eine der philosophischen Hauptnöten, um die sich alle

philosophischen Disziplinen konzentrieren. Die Problematik erschien in der Philosophie

meistens unter zwei Aspekten. Einer davon verbindet sich mit dem Problem des

Determinismus und Indeterminismus und entwächst der Metaphysik, der andere

erscheint im Zusammenhang mit der Verantwortung und entwächst der Ethik. In dem

erstgenannten führt die Philosophie ihre Analysen jenseits der Welt des Menschen zur

„Ganzheit des Seins“ hinaus. Im zweiten wird sie dauerhaft mit der Welt der Werte

assoziiert.

Das gegenwärtige Interesse für die Freiheit erwächst aus dem Antropozentrismus

der neuzeitlichen Kultur und einer gewissen Vereinsamung des Menschen, der die

Antwort auf die Fragen „wozu?“ und „warum?“ nicht mehr findet. Das Ausbleiben

dieser Antworten hat eine wichtige Bedeutung für Abstecken der Grenzen der Freiheit

und deren Ziele, und sogar der Wünsche nach Freiheit selbst. In der Vergangenheit (18.

Jh.) war die Freiheit nicht nur ein Feld der Wünsche. Vor allem war sie eine

Voraussetzung der Verwandlungen und Umwandlungen der veralteten Formen des

individuellen und gesellschaftlichen Lebens. In der zeitgenössischen Kultur denken wir

oft an die Freiheit im herkömmlichen Sinne als Unabhängigkeit und Abschaffung der

Hürden vor der Realisierung des eigenen Willens. Die so verstandene Freiheit trennt

uns von der ganzen Welt, baut eine „Distanz“ gegen etwas, gegen jemand, gegen

andere, steckt Grenzen ab und plaziert uns in der Opposition. Die Philosophie der

Vergangenheit hat ihren Anteil an der Kreation eines solchen Bildes der Freiheit, die

den Menschen (das Individuum) sich selbst überlässt, und das um eigene Welt sorgt.

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Dank ihm beobachteten wir eine ständige Erweiterung der Freiheit der Wahl mit

gleichzeitiger Einbusse des „Anderen“, der zum Rivalen und zur Hürde –

Einschränkung meiner Freiheit wird. Die Verabsolutisierung der Freiheit, derer

Anerkennung als der oberste Wert, der das Individuum konstituiert, bis zur Willkür, ist

ein Ergebnis solcher Maßnahmen. In solch einer Individualisierung wird sie zum

Element der Isolation als Unabhängigkeit von was auch immer: je mehr Freiheit, desto

mehr Einsamkeit.

Die moderne Philosophie versucht unübersehbar diese Situation zu verändern.

Die Freiheit ist nicht nur ein Akt „meines Wollens“ und des Inizierens der Aktivitäten.

Die Gegenwart fügt dazu noch ein Aspekt hinzu. Es handelt sich um den „Verkehr mit

dem Anderen“ (Levinas). In diesem neuen Kontext erscheint die Freiheit nicht mehr als

Problem der Autonomie des Subjektes, des Nichtvorhandenseins von Zwang, von freier

Wahl. Sie erscheint als Begegnung mit der „anderen Freiheit“.

„Der Andere“ tauchte in der modernen Philosophie plötzlich auf. Zunächst durch

das Bemerken, dass der Mensch auf den Anderen angewiesen ist. Später als

Anerkennung, dass Grundlage unserer Wahrnehmung der Welt nicht von der

Erkenntnis, sondern von der Begegnung bestimmt wird. In der Forderung nach

Hochachtung des Anderen, entdeckte die Philosophie, indem sie Zustimmung für

dessen „absolute Andersartigkeit“ zum Ausdruck brachte, dass sie den Anderen beim

Philosophieren nicht unberücksichtig lassen darf. Und es ist nicht so wichtig, ob er eine

Gefahr für das „Ich“ (Sartre), einen Wunsch nach „Ich“ (Lacan), bzw. Hoffnung für

„Ich“ (Philosophie des Dialogs) bildet. Überall dort ist ohne den Anderen der Gedanke

durch irgendwelche Falschheit gefährdet. Das Auftauchen des Andern in der

Philosophie und Kultur erfordert eine andere Konstruktion des Subjekts. Es ist nicht

mehr das substantielle in Seinheit eingeschlossene Sein, isoliert von anderen und der

Welt. Die Entdeckung des Anderen bestimmt auch den neuen Horizont der

philosophischen Probleme mit der Freiheit. Es geht darin nicht mehr um die Freiheit

des Subjektes, um mich, um meinen Willen. Jetzt geht es darum, dass der „Andere“ die

Existenz der Welt „aufdrängt“, in der es bereits die Freiheit gibt. Dagegen das Subjekt

„Ich selbst“ betritt die fertige Welt der Freiheit. Der „Andere“ wird zur aktiven Seite

meiner Freiheit und nicht nur zu einem der Elemente der Wahl und zur Grenze. Der

moderne Gedanke bewegt sich in diesem neuen Paradigma, indem er die

Andersartigkeit/den Anderen zu begreifen versucht, kommt auch das neue Bewusstsein

der Freiheit zum Vorschein.

Diese grundlegende Wende in der modernen Philosophie wirkt entschieden auch

auf die kulturmäßige Veränderung der Präsenz des Freiheitsproblems ein. Man kann

sagen, dass wir in der Periode des neuen Testens der Freiheit leben. Früher war die

„Gesinnungsfreiheit“ solch ein Test im religiösen Sinne. Heutzutage ist es „die Freiheit

des Anderen“ solch ein Test. Es gibt kein großes Problem damit, wenn der Andere

ähnliche Werte zu schätzen weiß und in demselben axiologischen Horizont lebt, wenn

er „genauso ist“. Die Probleme tauchen erst dann auf, wenn er eben „anders“ ist: wegen

des Aussehens, der anderen Kultur, anderer Werten usw. Dieser Test wird auf eine

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konkrete Art und Weise in viele Fragen der modernen Kultur umgesetzt: warum sollten

wir den Menschen erlauben, von denen wir wissen, dass sie (manchmal) dem Irrtum

verfallen sind, ihre Ansichten zu verkünden? Es ist ja so leicht, ihre Freiheit „zu ihrem

Wohl“ einzuschränken. Warum darf man Ihnen das Recht auf Ausdrücken des eigenen

Standpunktes nicht aberkennen? So einfach ist es ja, ihnen die richtige Richtung zu

zeigen. Warum soll man ihre Rechte nicht einschränken? Sie sollten ja „genau so sein“.

Warum ist der Andere zu Forderungen berechtigt? Ich bin es ja, der weiß, was für ihn

gut ist! Die neuen Probleme der Freiheit wird derjenige nicht verstehen, der im Vorab

will, dass der Andere „genauso“, dass er „alter ego“ wird. Erst derjenige wird sie

verstehen, der in dem „Anderen“ jemanden „radikal Anderen“ erblickt, welcher „nicht

Ich“ ist, und dem ich „meinen Sinn“ nicht verleihen kann. Die Freiheit kann nicht mehr

nur die Autorität und die Position des „Ich“ unterstützen. Aber sie kann auch nicht blind

gegenüber dem „Anderen“ sein. Die Freiheit bedeutet jetzt die Welt der Relation.

Wie daraus leicht zu ersehen ist, werden diese schwierigen neuen Probleme mit

der Freiheit oft zum Diskussionsgegenstand. Es handelt sich hier vielleicht um die

schwierigste Freiheit: die Freiheit mit dem Anderen. Bisher war die Bedeutung der

Freiheit mit dem Individuum verbunden: dank der Freiheit konnte das Individuum sein

ganzes Potenzial realisieren, sie konnte wirklich zu „seiner selbst“ werden. Das Ziel des

Kampfes um die Freiheit war immer „Ich selbst“. Dies war eine leichte Freiheit. Die

Entdeckung des Andersen verändert alles. Nicht nur Ich habe die Möglichkeit, im

Einklang mit meinen Wünschen zu handeln. Solch eine Möglichkeit hat nun auch der

Andere.